Westhoyeler Mühle

Geschichtlicher Zusammenhang
Kennzeichen der Epoche der landwirtschaftlichen Modernisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert war in Deutschland die Entwicklung vom Agrarstaat zum Industriestaat, mit folgenden wichtigen Faktoren:

  • Gründung des Reiches 1871
  • Gründerkrise von 1873
  • Rückgang der Weltmarktpreise, dadurch Übergang zur Schutzzollpolitik für Industrie und Landwirtschaft.
  • Sozialgesetzgebung durch den Staat
  • Entstehung des Problems “Soziale Frage” durch Industriearbeiter

Der Zeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrhundertwende wurde im Raum Riemsloh-Hoyel u.a. durch folgende Entwicklungen geprägt:

  • 1858 Meyer zu Riemsloh stellt den Betrieb seiner Wassermühle ein
  • 1859 Auf dem Eickrott errichtet Meyer zu Riemsloh eine Windmühle
  • 1861 Die ersten Zigarrenmacher des Fabrikanten Gröne kommen von Osnabrück nach Riemsloh und richten hier kleine Zigarrenwerkstätten ein
  • 1863 Es gibt acht Schankwirtschaften im Dorf Riemsloh
  • 1867 Von Neuenkirchen nach Melle über Riemsloh und zurück verkehrt die erste ‚Fahrpost‘. Eine Postagentur wird in Riemsloh eingerichtet
  • 1869 Meyer zu Riemsloh führt die ersten Versuche mit einer Mähmaschine durch
    1882 Die ersten Telegraphenmasten zwischen Neuenkirchen und Riemsloh werden aufgestellt, der Ort erhält Telefon
  • 1900 Bau einer Zigarrenfabrik von C. Wellensiek aus Bünde am östlichen Dorfrand
  • 1908 Der Landarzt fährt das erste Auto in Melle
  • 1908 bis 1926 wird die Dorfstraße mit Kopfsteinen gepflastert

Die Bevölkerung in Deutschland nahm zwischen 1870 und 1914 von ca. 40 auf ca. 65 Millionen zu, das entspricht einem jährlichen Zuwachs von ca. 1,5%. Die Besiedlungsphase im ländlichen Raum durch die Neubauern war weitgehend abgeschlossen. In Riemsloh war wie im ländlichen Raum allgemein im 19. Jahrhundert nur eine geringe Bevölkerungszunahme zu verzeichnen. Die Vogtei/Samtgemeinde Riemsloh-Hoyel (einschließlich Bennien} mit einer Fläche von 35,4 km2 entwickelte sich wie folgt:

  • 1821 3.252 Einwohner 92 E/km2
  • 1848 3.809 Einwohner 107 E/km2
  • 1871 3.576 Einwohner 101 E/km2
  • 1885 3.537 Einwohner 100 E/km2
  • 1905 3.583 Einwohner 101 E/km2

In den starken Auswandererjahren 1833 bis 1892 verließen (mit Unterbrechungen) pro Jahr bis zu 1% der Bevölkerung den Raum Riemsloh-Hoyel überwiegend in Richtung Amerika. Meist waren das junge Männer bis zu 25 Jahren, aber um dem Militärdienst zu entgehen, wanderten oftmals sogar 12- bis l3jährige aus. Auffallend war auch der große Anteil lediger junger Frauen, die im heimischen Raum keine Chance sahen, sich zu verheiraten und ihr Glück in Amerika suchten.

Verkehrswege
Die Straßenführungen (Chausseen und Landstraßen) im 19. Jahrhundert gehen auf jahrhundertealte Wege als Vorläufer zurück. Neue Regionalstraßen wurden nicht angelegt, sondern die vorhandenen ausgebessert, begradigt oder mit einer Steindecke versehen.
Der erste große Ausbau der Chausseen erfolgte im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Als Chaussee ist eine Straße mit fester Unterschicht sowie glatter und fester Oberschicht (anfangs Kies und Schotter) anzusehen. Ab ca. 1820 wurden in die Straßenoberdecke nach dem ‚Macadam-Verfahren‘ kleine Steine mit eingewalzt. Um 1900 gab es in der Samtgemeinde Riemsloh-Hoyel folgende numerierte und befestigte Verkehrswege:

  • Osnabrück-Riemsloh-Herford (via regia), ausgebaut 1765
  • Riemsloh-Bruchmühlen 1870
  • Riemsloh-Wallenbrück
  • Bruchmühlen-Hoyel
  • Riemsloh-Bruchmühlen/Hünenburgweg 1791
  • Riemsloh-Groß Aschen-Bünde 1785
  • Hoyel-Groß Aschen
  • Krukum-Wetter 1902/1903

Nach einer Bauzeit von 3 1/2 Jahren wurde die ‚Cöln-Mindener-Eisenbahn‘ am 15.10.1847 eingeweiht. Die Planungen für den Anschluß ab Löhne in Richtung Osnabrück-Rheine bis zur Küste begannen ab 1844, besiegelt mit dem endgültigen Staatsvertrag zwischen Preußen und Hannover im Jahre1846. Im Juni 1855 verkehrte der erste Lokomotivzug mit Arbeitsmaterialien auf der Strecke von Löhne bis Wissingen. Die Einweihungsfahrt war im November 1855 auf dem Streckenabschnitt von Löhne nach Osnabrück.Um 16.30 Uhr passierte der Zug die Ehrenpforte an der Wetterbrücke und damit den Raum Riemsloh. Die offizielle Eröffnung der gesamten Westbahn von Hannover bis Emden erfolgte am 19. Juni 1856.
Für den Raum Riemsloh-Hoyel lassen sich in den ersten Jahren nach der Fertigstellung der Westbahn keine positiven Ansätze für eine industrielle Ansiedlung finden. Wesentliche Verbesserungen der Infrastruktur des Raumes wären durch die Realisierung der verschiedenen Kleinbahnprojekte (ab ca. 1890) zu erzielen gewesen, die jedoch aus Kostengründen und mangelnder Rentabilität nicht zur Durchführung gelangten. Geplant waren Kleinbahnstrecken mit einer Spurbreite von 600 mm (später 1000 mm) und einer Geschwindigkeit von 20 km/h (30 km/h) von Melle über Riemsloh nach Wallenbrück, von Melle über Insingdorf-Neuenkirchen-Wallenbrück mit einer Abzweigung nach Borgholzhausen, bzw. von Melle über Dielingdorf-Neuenkirchen-Wallenbrück mit einer Abzweigung nach Borgholzhausen. Die Projekte waren vom Kreisausschuß beschlossen, steigende Kosten und übergeordnete Behörden verhinderten aber um 1920 die Durchführung. Der ländliche Raum Riemsloh-Hoyel wäre möglicherweise durch diese Vernetzung stärker in die industrielle Entwicklung eingebunden worden.

Die Windmühle
Die Westhoyeler Windmühle wurde 1870 vom Bauern Mölk (vormals Westhoyel Nr. 5) erbaut. Die Hofstätte lag etwa 150 m südöstlich von der Windmühle entfernt, sie ist heute nicht mehr vorhanden. Infolge von mehrfachen Besitztumswechseln (Mölk-Heilmann-Münchmeyer-Heilmann-Berger) sind leider keine Unterlagen aus dieser Zeit erhalten geblieben. Betrieben wurde die Mühle ausschließlich von der Familie Menke, Müllermeister Heinrich Menke hatte sie seit Mitte der dreißiger Jahre gepachtet.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts existierte eine Reihe von Mühlen in der näheren Umgebung. Im gesamten Meller Kreisgebiet gab es etwa 90 Mühlen, davon 9 Wind- und 57 Wassermühlen sowie 24 Göpel. Zum Vergleich: Im heutigen Kreis Enger gab es 25 Mühlen, davon 8 Wind- und 9 Wassermühlen, im Kreis Spenge existierten 16 Mühlen, davon 4 Wind- und 7 Wassermühlen, der Rest bestand aus Göpeln und Motormühlen. Unter Berücksichtigung der damaligen Einwohnerzahlen versorgte eine Mühle ca. 290-360 Personen in einem Einzugsgebiet von knapp 3 km2.
Offenbar traten trotzdem Engpässe beim Vermahlen auf, vielleicht war auch der Transport des Mahlgutes auf den alten, ausgefahrenen und oftmals morastigen Wegen zu beschwerlich, jedenfalls machte sich Bauer Mölk Beziehungen zum Düingberg in Düingdorf zunutze und bezog von dort die Natursteine für den Mühlenturm.
Dieser wurde nebst Wall von Grund auf gemauert, d.h. die Stockwerke wurden sofort eingezogen. Wegen der konischen Form des Mühlenturmes verlaufen die Mauerfugen schräg nach unten, der daraus resultierende Wasserdurchbruch be­reitet bis heute Sorgen. Die tragenden Balken konnten bei der Mühlenrestauration nicht einfach herausgezogen und erneuert werden, sie wurden statt dessen im Hakenblattverfahren (in Teilen) ersetzt.
Die Mühlsteine aus Blaubasalt wurden 1872 wahrscheinlich aus Niedermendig bei Andernach bezogen (zu der Zeit ein wohlbekannter Mühlsteinbruch), der Sandstein des Schrotganges vermutlich aus Hannoversch-Münden. Alle Mühlsteine in der heutigen Mühle sind noch die Originale.
Die Mühle wurde als Hofmühle drei Generationen lang je­weils im ‚Ein-Mann-Betrieb‘ von der Müllerfamilie Menke betrieben: Von 1872-1889 Caspar Menke, von 1889-1935 Friedrich Menke und von 1935-1975 Heinrich Menke. Bis etwa 1920 erfolgte der Antrieb mit Windkraft.
Das würde bedeuten, daß bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 15 Jahren bis zu diesem Zeitpunkt das Flügel- kreuz mindestens drei Mal erneuert werden mußte. Nach mündlicher Uberlieferung soll um 1905 ein Sturm die Kappe von hinten angehoben haben. Da zu diesem Zeitpunkt das Flügelkreuz in ‚Pausenstellung‘ (s. 5. 12) stand, wurde der nach unten zeigende Flügel gegen den Mühlenturm gedrückt, was das Herunterwehen der gesamten Kappe mitsamt Flügeln und damit das Schlimmste verhinderte. Trotzdem dürfte eine Generalüberholung fällig gewesen sein. Damit wäre die letzte Flügelerneuerung auf etwa 1905 festgelegt.
Nach der Zerstörung der Flügel übernahm ab ca. 1914 ein Bezolmotor den Antrieb. Er leistete 15-18 PS und stand in einer kleinen Hütte, die hinter der Mühle errichtet wurde. Der Motor verfügte über ein großes Schwungrad, er soll sehr stark gestaubt haben. Ab ca. 1920 besorgte ein Sauggasmotor den Antrieb: Von glühenden Kohlen wurden die Gase abgesaugt, durch einen Filter gereinigt und dann verdichtet. Das Ansaugen soll ein charakteristisches, lautes Geräusch verursacht haben, das weithin zu hören war. Um 1935 wurde schließlich ein 15 PS starker Deutz-Diesel installiert. Der jeweilige Motor trieb über eine Transmission das Kegelradgetriebe und weiter über ein Zahnradgestänge das Spindelrad an.

Die Elektrifizierung der Mühle
Da die Unterlagen über den Anschluß der Mühle Westhoyel an das elektrische Netz die einzigen bisher aufgefundenen Originalbelege sind, soll dieser Komplex hier ausführlicher dargestellt werden.
Seit Anfang des Jahrhunderts gewann die Elektrizität immer mehr an Boden. Diese Entwicklung hatte einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf das tägliche Leben und stellt rückschauend sicher die zur damaligen Zeit am nachhaltigsten wirkende technologische Neuerung dar.
Zum einen wurde nunmehr eine Energie angewendet, die nach entsprechenden infrastrukturellen Maßnahmen prak­tisch überall und auf Knopfdruck verfügbar war. Diese mußte bald von den großen, meist weit entfernten „Uberlandzentralen“ bezogen werden, da kleine, dezentrale Energieversorger die Nachfrage vor Ort nach wenigen Jahren nicht mehr decken konnten. Die Umstellung auf elektrische Energie war sicher gewöhnungsbedürftig: Hier wurde keine Ware mehr über den Ladentisch verkauft, sondern über einen gewissen Zeit­raum hinweg bezogen, wobei der tatsächliche Verbrauch immer neu ermittelt werden mußte.
Andererseits hatte nun jeder, der über die notwendigen Finanzmittel verfügte, die Möglichkeit, elektrisch betriebene Maschinen zu installieren und somit von Dienstleistungen Dritter unabhängig zu werden. So konnten die Bauern jetzt daran denken, selbst Schrotmühlen auf ihren Höfen aufzustellen um durch diese Investition die Lohnmüllerei zu umgehen. Die zunehmende Abhängigkeit von der Elektrizität sollte in dem Zusammenhang allerdings nicht übersehen werden.
Betrachten wir die Situation in Westhoyel und Umgebung. Anders als z. B. in St. Annen, wo die Firma Bitter & Sohn über einen Sauggasmotor mit Dynamo bis 1935 Teile der Gemeinde mit Gleichstrom versorgte, gab es in Riemsloh, Westhoyel und Hoyel keine Kleinstkraftwerke (die Martmühle an der Warmenau lieferte nur Strom für den Eigenbedarf).
Der Beginn der Elektrifizierung im Kreis Melle datiert am 28.2. 1912, als in Buer die ersten Anschlüsse an das Netz der Niedersächsischen Kraftwerke (NIKE) erfolgten. Danach wurden Bakum und Gesmold angeschlossen. Ein Jahr später waren die Häuser in Riemsloh vorbereitet, am 24.4.1914 erhielt die Windmühle Meyer zu Riemsloh den ersten Strom. Der Aufbau einer 10kW-Leitung nach Hoyel war bereits 1911 anvisiert und 1913 vertraglich geregelt worden, konnte kriegsbedingt jedoch erst 1918/19 erfolgen. Hoyel bezog den ersten Strom im September 1919. Die Leitung führte von Riemsloh durch die Bauerschaft Westhoyel nach Hoyel. In Westhoyel wurden zunächst keine Anschlüsse vorgenommen.
Dies mag damit zusammenhängen, daß sich dort nicht genügend Stromkunden gemeldet hatten. In Hoyel erstellte die NIKE nur die Hochspannungsleitung nebst Trafostation. Die Hausanschlüsse mitsamt Freileitungen zu den Häusern wurden von den Endverbrauchern, die sich zu einer Stromgenossenschaft zusammengeschlossen hatten, vorgenommen. Innerhalb dieser Genossenschaft bildeten sich Nachbarschaften, die durch Absprachen untereinander dafür sorgten, daß die gelieferte Leistung tageszeitlich verteilt abgenommen wurde. Die erste Kontaktaufnahme mit der NIKE im Auftrag Westhoyeler Interessenten erfolgte am 21.9.1921 durch die Firma C. H. Schürmann in Hoyel (‚Lager und Lieferung von sämtlichen Maschinen u. Geräten, Fahrräder – Nähmaschinen – Motorräder, Centrifugen. Installation elektrischer Licht- und Kraftanlagen‘).
Bereits 10 Tage später lag das Angebot der NIKE vor und am 7.12.1921 bezogen die ersten vier Westhoyeler Abnehmer elektrischen Strom: Meyer, Ostermann, Bünger und Stertmann. Die NIKE belieferte diese Kunden bis zum Hausanschluß.
In der Folge wurde das Ortsnetz laufend erweitert, knapp westlich an der Mühle vorbei zu Aring (Westhoyel Nr. 15) und weiter zur Hünenburg, jedoch nicht zur Mühle Menke. Erst knapp dreißig (!) Jahre später, am 29.12.1949 forderte die Fa. Engelbrecht & Lemmerbrock im Auftrag von Fritz Menke einen Kostenvoranschlag über den Neuanschluß der Mühle an, der Antrag folgte am 19.9.1950, seit dem 6. 12.1950 konnte die Mühle dann über einen 18 PS starken Elektromotor angetrieben werden.
Da die Leitung direkt vor der Mühle verlief, wäre ein Stromanschluß schon um 1920 relativ kostengüinstig möglich gewesen. Die Gründe, warum dies nicht erfolgte, liegen im Dunkeln. Vielleicht sollte sich zunächst der ebenfalls zu der Zeit angeschaffte Sauggasmotor amortisieren. Womöglich fehlte auch ganz einfach das Geld oder man schreckte vor Investitionen zurück und mißtraute der neuen Technik.
Trotz der nun verfügbaren Elektrizität wurde die Beleuchtung weiter mit Sturmlaterne und Karbidlampe besorgt: „Dat briukt wui nich, dat huäwet wui juimmer säo huat“. Es vergingen nochmals viele Jahre, bis auch im Müllerhaus die Elektrizität Einzug hielt: Mit Anschreiben vom 18.10.1966 wurde ein bereits drei Jahre vorher ausgefüllter Antrag eingereicht, die Stromabnahme erfolgte schon zwei Monate vorher, im August 1966.
Die Stillegung der Mühle vollzog sich langsam, in dem Maße, da die Bauern im Einzugsgebiet ihr Getreide über eigene Schrotmühlen vermahlten. Der letzte Müller Heinrich Menke bekam schließlich nur noch kleinere Aufträge und stellte den Betrieb gegen Ende der siebziger Jahre völlig ein.